Forscher finden alarmierende Spuren im Speichel
Über die Krebsgefahr durch Handys streiten Forscher seit Jahren. Neue Studien erhärten den Verdacht. Verbraucherschützer sehen uns einem unkontrollierten Feldversuch mit ständig steigender Strahlenbelastung ausgesetzt.
Allein die Internetseite „EMF-Portal“ listet 18 055 solcher Untersuchungen auf. Ungefähr die Hälfte davon will bedenkliche Einflüsse auf den Körper oder zumindest biologische Effekte gefunden haben. Die andere Hälfte blieb ohne solche Resultate. Insbesondere geht es den
Forschern um die Frage, ob die Strahlung Krebs auslösen kann.
In jüngerer Zeit wurde es in der Öffentlichkeit um die potenziellen Risiken der Handy-Nutzung still. Insbesondere das Aufkommen der Smartphones verdrängte gesundheitliche Gesichtspunkte. Stattdessen standen die Leistungsdaten und die zahllosen „Apps“ im Fokus, mit denen sich diese zu Taschencomputern mutierten Fernsprechgeräte nützlich machen. Doch hinter den Kulissen ging der Streit um mögliche Gesundheitsgefahren durch die Handys sowie die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Funkmasten weiter.
Oxidativer Stress in handynahen Geweben
Jetzt zeigen neue Studien, dass Risiken wohl doch nicht auszuschließen sind. In den letzten fünf Jahren, erklären Forscher im „BioInitiative-Bericht 2012“, wurden rund 1800 Analysen veröffentlicht, die auch noch Effekte zeigen, wenn die Grenzwerte für die Strahlung deutlich unterschritten wurden.
Dabei ist bereits die Festlegung dieser Werte umstritten. Handystrahlung liegt im Frequenzbereich der Mikrowellen, die ihre Energie auf wasserhaltige Strukturen übertragen und diese so erhitzen. Die Grenzwerte für die maximal erlaubte Strahlungsbelastung orientieren sich an dieser thermischen Wirkung: Sie sollen verhindern, dass Körpergewebe – voran das Hirn – durch Erhitzung geschädigt wird. Kritiker verweisen aber darauf, dass biologische Wirkungen bereits weit unterhalb der festgelegten Schwellen auftreten.
So ist es auch in einer der neuen Studien, die zum Ziel hatte, Zusammenhänge zwischen der Handystrahlung und der Entstehung von Krebs aufzuspüren. Durchgeführt hat sie eine Gruppe um den israelischen Mediziner Yaniv Hamzany von der Universität Tel Aviv. Weil Handys beim Telefonieren stets auch die Ohrspeicheldrüse bestrahlen, könnten sich entsprechende Veränderungen im Speichel zeigen, überlegte Hamzany. Beim Vergleich des Speichels von Vieltelefonierern und von Gehörlosen oder Handyverweigerern zeigten sich in der Tat Unterschiede. So fanden sich im Fall der ersteren Anzeichen für oxidativen Stress: In ihren Zellen waren so genannte Peroxide oder freie Radikale in großer Zahl vorhanden. Diese aggressiven chemischen Verbindungen können die Erbsubstanz DNS angreifen und zählen daher zu den Risikofaktoren für Krebs.
Genetische Mutationen fördern die Tumorbildung
Als Vieltelefonierer galten Personen, die ihr Handy mindestens acht Stunden pro Monat am Ohr haben. Die meisten seiner Probanden aus dieser Gruppe, versichert Hamzany, hätten aber 30 bis 40 Stunden monatlich telefoniert. „Das Ergebnis legt nahe, dass in den Drüsen und dem Gewebe, die beim Telefonieren nahe am Handy liegen, beträchtlicher oxidativer Stress entsteht“, sagt der Forscher. „Dadurch gibt es Schäden, die genetische Mutationen auslösen können, was wiederum die Entwicklung von Tumoren fördert.“ Die Studie enthülle zwar keine klare Beziehung von Ursache und Wirkung, doch trage sie zur wachsenden Zahl von Indizien bei, die darauf hindeuten, dass der Gebrauch von Handys langfristig gefährlich sein kann. Zudem gebe sie der Forschung eine neue Richtung vor. So müsse man nun herausfinden, wie schnell die Zellen in den Speicheldrüsen auf die Strahlung reagieren. Allerdings war die Zahl der Probanden gering: Es waren nur 20 Vieltelefonierer.
In ähnlicher Weise lassen auch weitere Untersuchungen erkennen, dass die Strahlung durch die Bildung reaktiver Oxidantien indirekt auf Körperzellen einwirkt. Dabei geht es nicht nur um Krebs, sondern auch um die Fortpflanzung. Arbeitsmediziner der „Third Military Medical University“ im chinesischen Chongqing hatten nämlich entdeckt, dass Handy-typische Strahlung von 1800 Megahertz (MHz) die Samenzellen von Mäusemännchen schädigt. Wiederum hatten freie Radikale die DNS angegriffen.
Oxidativer Stress in Leber- und Samenzellen
Den gleichen Effekt fanden Biologen der Qassim University in Saudi-Arabien bei männlichen Ratten. Sie konstatierten eine „Schädigung der Ratten-Hoden, induziert durch elektromagnetische Befeldung mit einem konventionellen Handy“. Unter anderem verringerte sich die Zahl der Spermatiden, das sind Vorläuferzellen reifer Spermien. Zugleich zeigte sich, dass als „Radikalenfänger“ bekannte Substanzen wie die Vitamine C und E vor solchen Wirkungen schützen. Beide Studien wurden in diesem Jahr veröffentlicht. Eine weitere Untersuchung hatte bereits 2010 ergeben, dass Handystrahlung auch in Leberzellen von Schweinen oxidativen Stress auslösen kann.
Gehäuft Tumore am Hörnerv britischer Frauen
Umstritten war bislang zudem, ob Handystrahlung gehäuft Tumoren am Hörnerv (so genannte Akustikusneurinome) hervorruft. Eine Studie von Epidemiologen der britischen University of Oxford vom Mai 2013 förderte nun zutage, dass die längerfristige Nutzung von Mobiltelefonen das Erkrankungsrisiko signifikant erhöht. Sie war Bestandteil der „Million Women Study“ – einer groß angelegten Untersuchung zur Gesundheit britischer Frauen im Alter von über 50 Jahren. Das Risiko von Frauen, die über zehn Jahre lang mobil telefoniert hatten, an einem Akustikusneurinom zu erkranken, erwies sich gegenüber Nichtnutzerinnen um das 2,5fache erhöht. Es war weltweit die vierte Studie, die diesen Zusammenhang aufzeigte.
Die Fülle solcher Befunde veranlasste die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2011, die Felder von Mobiltelefonen, kabellosen
Funktechniken, Radio, Fernsehen und Radar als „möglicherweise für Menschen krebserregend“ in dieso genannte Gruppe 2B einzustufen. Im vergangenen Frühjahr legten die IARC-Experten ihren vollständigen Bericht zur Klassifizierung hochfrequenter elektromagnetischer Felder vor und bestätigten die Einstufung.
Einzigartige Erhöhung des Risikos in nur einer Dekade
Diese hat indes ihre Tücken. Denn die im französischen Lyon angesiedelte IARC stellte keine eigenen Untersuchungen an, sondern bewertete epidemiologische und experimentelle Arbeiten anderer Forscher. Einen Kausalzusammenhang von Feldern und Krebserkrankungen konnten sie dabei nicht erkennen, erachten ihn aber als möglich, da es aus einzelnen Studien Hinweise auf ein erhöhtes Hirntumorrisiko vor allem für starke Handynutzer gebe. Es sei aber noch nicht eindeutig belegt, dass die Nutzung von Mobiltelefonen Krebs bei Menschen auslösen kann, betonte die IARC bei der Präsentation ihres Berichts.
Demgegenüber fordert eine Forschergruppe um die Epidemiologin Devra Davis vom Environmental Health Trust der USA, hochfrequente Felder als „wahrscheinlich für Menschen krebserregend“ einzustufen, was der IARC-Gruppe 2A entspricht. Davis stützt sich auf eine schwedische Untersuchung, die ein erhöhtes Risiko für Hirntumoren bei Personen feststellten, die mindestens zehn Jahre lang Handys oder schnurlose Telefone genutzt hatten oder jünger als 20 Jahre waren, als sie damit begannen. „Kein anderes Umweltkarzinogen zeigte eine derartige Erhöhung des Risikos in nur einer Dekade“, schreiben Davis und ihre Kollegen. Bei Kindern und Jugendlichen sei das Risiko erhöht, weil ihre Gehirne einen höheren Anteil an Wasser und eine dünnere Schädelhülle haben, was sie empfindlicher für die Handystrahlung mache.
Quelle: Focus online